Und auf einmal ist es Liebe by Karin Kallmaker

Und auf einmal ist es Liebe by Karin Kallmaker

Autor:Karin Kallmaker [Kallmaker, Karin]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: K+S digital
veröffentlicht: 2015-04-26T16:00:00+00:00


Helen war es nicht gewohnt, im Badeanzug herumzulaufen. Julie hatte gemeint, sie solle sich einen Bikini kaufen, aber die Vernunft hatte sie einen Einteiler wählen lassen, in einem zarten Grün, das den leicht rötlichen Schimmer ihres dunkelbraunen Haares hervorhob. Sie war nicht sicher, ob sie so rank und schlank und elegant wie Karolina aussah, aber für fast fünfzig sah sie nicht schlecht aus. Wenn sie Hitzewallungen bekam, konnte sie den Schweißausbruch auf die Sonne schieben.

Helen war bereits umgezogen, ehe sie ihr Gesicht im Spiegel musterte. Gewöhnlich brachte sie jeden Tag Stunden damit zu: Sie schaute zu, wie die Maskenbildnerin Schicht um Schicht Make-up auftrug, während sie selbst eine Bestandsaufnahme ihrer Falten machte, ihre Nase begutachtete – nur eine Spur zu lang – und ihre Lippen auf altersbedingte Pigmentveränderungen hin überprüfte, von denen die Kosmetikerin im Spa geredet hatte. An diesem Tag widerstrebte es ihr, allzu genau hinzusehen, als fürchte sie, dass sich irgendetwas verändert haben könnte.

Was stimmte nicht mit ihr? Was war los? Sie kannte viele Schwule und Lesben, Bisexuelle und Transgender – sie alle waren in der Theaterwelt zahlreich vertreten. Spielte ihr das Leben einen launigen Streich? Sie lesbisch? Nein. Oder doch? Und selbst wenn – das war doch kein Grund auszuflippen? Sie war nicht homophob, aber wenn sie keine Angst davor hatte, lesbisch zu sein, warum tanzte sie dann nicht vor Freude durch die Gänge bei dem Gedanken, vielleicht das erste Mal im Leben lesbischen Sex zu haben? Was war daran so angsteinflößend?

Ihr unverändertes Gesicht gab keine Antwort. Ihre Augen waren so blaugrau wie immer. Nur ihr Mund war vielleicht ein wenig anders. Er sah voller aus, weicher.

Als sie die Treppen zum Pooldeck hinaufstieg, überlegte sie, woher sie wusste, dass sie nicht lesbisch war. Schließlich hatte sie nur mit einem Menschen Sex gehabt, was im Grunde ziemlich kläglich war für eine fast fünfzigjährige Frau. Sie war verheiratet gewesen, hatte sehr guten Sex mit ihrem Mann gehabt und mit ihm zusammen zwei wunderschöne Babys gemacht. Jahrelang hatte sie keinerlei sexuelle Lust verspürt, und als sich das vielleicht hätte ändern können, war sie zu beschäftigt gewesen mit ihrer Karriere und ihren Kindern. Sie konnte sich nicht mehr an den Unterschied zwischen der dritten und der siebten Klasse erinnern. Sogar einige Stücke, in denen sie aufgetreten war, verschwammen ineinander. Die Zeit floss in einem steten Strom dahin, gleichmäßig, unveränderlich. Bis jetzt.

Sie hatte den Punkt erreicht, an dem sie sich fragte, ob sie bisexuell war und merkte, dass sie gar nicht mehr durchblickte, was was war und wer wer war und wer was wie nannte, als sie Karolina auf einer Liege ausgestreckt im Schatten einer Markise auf dem Pooldeck erspähte.

Eine Sache kristallisierte sich heraus – ein L-Wort traf auf die Situation zu: LUST – in Großbuchstaben. Nicht blinde sexuelle Lust auf einen Körper, der mit ihrem zusammentraf, sondern Lust auf Karolina, weil sie so weiche, verführerische Konturen hatte, die Helen am liebsten mit den Fingern nachgezeichnet hätte, und Kurven an den Hüften, die sie gern durstig mit der Zunge nachgefahren wäre. Das



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